Störfälle
   




Norddeutsche Rundschau

30.08.1995

LESERFORUM
Vorruhestand

Zum Artikel "Normales Jahr für Brokdorf" (NR vom 14. August) schreibt Karsten Hinrichsen:

Der Bericht über das diesjährige Informationsgespräch im AKW Brokdorf hat eines offenbart: Der technische Leiter, Herr Verführt, zeigt nach zehn Jahren, die das AKW nun in Betrieb ist, die gleichen Symptome wie sie auch in anderen hochgefährlichen wie sie auch in hochgefährlichen Industriebetrieben zu beobachten sind: Unterschätzung der Gefährlichkeit und Überschätzung der Sicherheitseinrichtungen. Hinzu kommen mangelnde Objektivität und zunehmende Betriebsblindheit. Wie anders kann seine Behauptung, Brokdorf liefere sauberen, zuverlässigen und billigen Strom, bewertet werden. Und das nach einem Betriebsjahr, in dem große Mengen an radioaktiven Stoffen in das Kühlwasser gelangt sind, weil die Focus?Brennstäbe löchrig wie ein Schweizer Käse waren.

Selbstverständlich hat Herr Verfürth den geladenen Journalistinnen und Politikerinnen nicht mitgeteilt, daß 22 nicht reparierbare Brennelemente zusätzlich entsorgt werden müssen und die produzierten Atommüllmengen in Form von verseuchten lonenaustauschern und Filterkerzen drastisch zugenommen haben.

Immerhin, daß die radioaktiven Emissionen am 30. Juli den genehmigten Tageswert zur Hälfte erreichten, konnte Herr Verfürth nicht verschweigen. Doch daß auch große Mengen an Radionukliden in die Elbe abgegeben wurden, hat er nicht gesagt. Das sollte den Eltern zu denken geben, die ihre Kleinkinder bei dem schönsten Sonnenwetter haben am Brokdorfer Elbstrand baden lassen. Dabei kann man sehr gut erkennen, wie die Abwasserfahne aus dem AKW Brokdorf bei Ebbe direkt an den Strand gedrückt wird. Und bei Flut kommen noch die radioaktiven Abwässer aus dem AKW Brunsbüttel hinzu. Wenn sich dann nach Jahren Krebsgeschwüre oder Leukämie bilden, wird die Ursache nicht feststellbar sein, weil es ja auch noch Autoabgase,, gespritzte Lebensmittel und Schadstoffe aus Chemie?, Müll- und Zementfabriken gibt.

Das Verhalten des Betreibers am 30. Juni war verantwortungslos: Denn er wußte von den Brennelementschäden. Die erhöhte Radioaktivitätsabgabe war also vermeidbar. Genauso leichtfertig war das Öffnen eines Behälters am 7. Juli, von dem weder Betreiber noch Aufsichtsbehörde die Öffentlichkeit bis auf den heutigen Tag informiert haben: zweimal wurde dabei sogar die interne Warnschwelle von drei Billiarden Bequerel radioaktiver Gase, die über den Kamin ins Freie entwichen, überschritten.

Wie die Fragen der um ihre Gesundheit besorgten Polizisten abgebügelt wurden, ist schon ein Skandal. Das Gutachten von Professor Kuni zur Strahlenexposition von Begleitpersonal bei Castortransporten kann bei mir angefordert werden. Dabei weiß auch Herr Verfürth nur zu genau, daß die Strahlenschutzgrenzwerte immer wieder herabgesetzt werden mußten, weil neue Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von Radioaktivität bekannt wurden. Trotzdem müssen in Schleswig?Holstein immer noch weibliche Polizeibeamte Dienst am Castor machen.

Ich empfehle Herrn Verfürth den Vorruhestand.

KARSTEN HINRICHSEN, Brokdorf